Bricht sich eine Mutter das Bein, wird den Kindern erklärt, dass Mama grade nicht so fit und mobil ist wie sonst; Freunde, Familie und Nachbarn wissen Bescheid und unterstützen die Familie bei Bedarf. Leidet dieselbe Mutter an Depressionen oder einer anderen psychischen Erkrankung, verhält es sich meist anders – statt über die Krankheit, ihre Auswirkungen und ihre Behandlung  zu sprechen, gibt es leider immer noch große Tabuisierungen. Oft wissen weder die Kinder noch das Umfeld Bescheid, wenn ein Elternteil an einer psychischen Krankheit leidet. Hilfestellungen für die Kinder bleiben aus – z.T. mit fatalen Folgen.

Laut Studien weisen ca. 30-60% der Kinder, die mit einem psychisch erkrankten Elternteil aufwachsen, selbst schon im Kindesalter psychische Störungen auf, wenn sie keine präventiven Hilfestellungen erhalten. Und die Zahl der Betroffenen ist groß: Etwa zwei bis drei Millionen Kinder in Deutschland haben mindestens einen Elternteil, der an einer psychischen Erkrankung wie Depression, Schizophrenie, Persönlichkeits- oder Zwangsstörungen leidet.

Die Folgen für diese Kinder sind vielfältig:

  • Der psychisch kranke Elternteil kann sich oft nicht um die Belange der Kinder kümmern und auch wenn ein gesunder Elternteil in der Familie lebt, so sind die Eltern oft zu sehr mit sich, ihrer Partnerschaft und den Auswirkungen der Erkrankung beschäftigt, um den Kindern die nötige Zuwendung, Förderung, Unterstützung und Alltagsstruktur zu geben.
  • Die Kinder fürchten die Stigmatisierung, weshalb sie ihre Eltern lieber vor Gleichaltrigen „verstecken“ und sich selbst isolieren.
  • Mit erwachsenen Bezugspersonen wird oft nicht gesprochen, da die Kinder die Tabus übernehmen und Angst haben, die Eltern zu verraten.
  • Führen Konflikte zwischen den Eltern zur Trennung, stehen Kinder im verschärften Loyalitätskonflikt, sich zwischen dem „kranken“ und dem „gesunden“ Elternteil entscheiden zu müssen.
  • Die Kinder übernehmen Aufgaben der Eltern oder gar die Elternrolle gegenüber jüngeren Geschwistern, sie wirken sehr verantwortungsvoll, doch sie sind überfordert und können sich nicht ihren altersgemäßen Entwicklungsaufgaben stellen.
  • Dazu kommen Ängste – vor dem Elternteil (wenn dieser z.B. unter Wahnvorstellungen leidet), um das Elternteil (wenn Suizid befürchtet wird) oder vor einer möglichen eigenen Erkrankung.
  • Ohne Informationen über die Erkrankung der Eltern, entwickeln sie häufig fehlerhafte Erklärungsmuster und Schuldgefühle.

Die Kinder zeigen mehr oder weniger deutliche Belastungsanzeichen wie Niedergeschlagenheit, Schulunlust, Konzentrationsschwierigkeiten, Rückzug von Freunden oder Aggressionen. Wichtig ist: Den Kindern kann geholfen werden! Ein offener Umgang mit der Erkrankung, das Vorhandensein bedeutsamer Dritter als Bezugspersonen und klare Verantwortlichkeiten sind wichtige Bestandteile der Präventionsarbeit mit Kindern psychisch kranker Eltern. Professionelle Unterstützung, Beratung und Betreuung können hier sehr wichtig sein, um die ganze Familie dabei zu unterstützen, mit der großen Belastung umzugehen, die richtigen Worte zu finden und die Bedürfnisse aller Familienmitglieder im Blick zu behalten.

Verena Febres Mendoza

Dipl.-Psychologin