Max, fünf Jahre alt, besucht seinen Freund Ben. Die beiden spielen mit Autos. Der rote Porsche, an dem sich Türen und Motorhaube öffnen lassen, hat es Max angetan. Seine Mutter findet abends den kleinen roten Renner in Max‘ Hosentasche. Sie hat eine Vermutung, wie der dahin gekommen sein könnte und spricht Max darauf an. Der Fünfjährige verstrickt sich in offensichtlich unwahre Geschichten. Abends reden die Eltern über den Vorfall. Der Vater ist entsetzt und meint, dass Max ein Dieb und Lügner sei und die Mutter befürchtet, dass Max auf die schiefe Bahn geraten könnte.

Kleinkinder machen in der Familie zunächst die Erfahrung, dass alles um sie herum auch allen gehört. Sie entwickeln erst langsam die Vorstellung von Besitz. Mit dem Gebrauch von eigenem Spielzeug fordern sie zunehmend ihre Rechte daran ein. Mit etwa fünf Jahren hat ein Kind gelernt, dass es Anderen nichts wegnehmen darf. Doch dieses Wissen ist oft noch nicht verfestigt. Der Impuls, etwas Schönes haben zu wollen, ist manchmal einfach stärker als die Regeln der Eltern, so auch bei Max.

Wenn Sie bemerken, dass Ihr Kind etwas gestohlen hat, bewahren Sie Ruhe. Sofortige Beschimpfungen und Bestrafungen führen nicht weiter. Machen Sie mit Fingerspitzengefühl Ihrem Nachwuchs klar, dass Stehlen falsch ist und Sie enttäuscht sind. Helfen Sie Ihrem Kind, die Bedeutung seines Handelns zu verstehen, welche Auswirkungen der Diebstahl auf seine Beziehung zum Bestohlenen hat und überlegen Sie mit ihm, wie es sein Handeln wiedergutmachen kann. Ein falsches Zeichen wäre es, wenn Eltern aus eigener Scham den Diebstahl ihres Kindes verschleiern würden.

Mit zunehmendem Alter perfektionieren Kinder ihre Schwindeleien, um den Diebstahl zu verschleiern. Vermeiden Sie lange Verhöre und vertrauen Sie auf Ihr Gefühl. Ein Kind kann Ihnen nicht immer sagen, warum es etwas weggenommen hat. Hinter dem vordergründigen „Habenwollen“ stehen manchmal auch andere Motive: Der Wunsch nach Aufmerksamkeit, Mutproben, Zugehörigkeit zeigen, Rebellion usw. Manchmal zeigt uns das Kind durch einen Diebstahl, in welcher Belastungssituation es sich gerade befindet. Wenn Eltern das Handlungsmotiv ihres Kindes verstanden haben, können sie gemeinsam mit dem Kind überlegen, wie dessen Wünsche künftig besser erfüllt werden können. Es muss aber auch lernen, dass nicht jeder Wunsch erfüllbar ist.

Wird das eigene Kind bestohlen, ist auch hier Ruhe zu bewahren. Handeln Sie nicht über den Kopf Ihres Kindes. Es kann lernen, wie es sich selbst gegen eine Ungerechtigkeit wehren kann. Eltern sollten mit dem Kind gemeinsam überlegen, wie die Situation zu lösen ist. Erst wenn es z. B. erfolglos den Dieb aufgefordert hat, die betreffende Sache zurückzugeben, können Eltern weitergehende Unterstützung geben, z.B. mit den jeweiligen Eltern, Erziehern oder Lehrern Kontakt aufnehmen.

Wenn das Kind älter als zehn Jahre ist und sein Klauen chronisch geworden ist, sollten Eltern sich an eine Fachstelle wenden. Die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Fulda ist unter der Telefonnummer 0661-9015780 zu erreichen.

Reinhard Baumann